Geschichte Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden

Der jüdische Landesverband mit Tradition

1926 als Sächsischer Israelitischer Gemeindeverband als juristische Person des öffentlichen Rechts anerkannt, feiert der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden bald seinen 100. Geburtstag. Eine Zusammenfassung der Geschichte der jüdischen Dachorganisation im Freistaat Sachsen.

Ein mühsamer und langer Weg führte zur einheitlichen jüdischen Vertretung in Sachsen. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Juden hier nicht dieselben Rechte wie ihre nichtjüdischen Nachbarn, von einer eigenen Dachorganisation – so wie sie für andere Glaubensgemeinschaften selbstverständlich war – ganz zu schweigen. So war Juden zum Beispiel der Aufenthalt in Sachsen vor 1849 nur in Dresden und Leipzig gestattet, von wenigen Ausnahmen abgesehen. In anderen deutschen Bundesstaaten, etwa in Südwestdeutschland, bestand im Gegensatz dazu eine deutlich liberalere Niederlassungspraxis.

Kopie aus dem Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig aus dem Jahr 1926, Artikel über den Sächsisch Israelitischen Gemeindeverband

Selbst in diesen beiden Städten durften Juden mit sächsischer Staatsangehörigkeit erst ab 1837/38 ihre Religion frei ausüben, eigene Gemeinden mit entsprechenden Verfassungen gründen sowie Grundstücke für eigene Gemeindehäuser erwerben. Gesetze aus den beiden Jahren machten die bis dahin nur geduldete jüdische Religion zu einer gesetzlich zugelassenen und ermöglichten den Bau großer Synagogen in Dresden und Leipzig. 1849 wurde zwar die „Gleichstellung der Sächsischen Juden mit den Christen hinsichtlich des Genusses bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte“ beschlossen, dennoch blieben beträchtliche Emanzipationsdefizite bestehen, insbesondere für Jüdinnen und Juden ohne sächsische Staatsangehörigkeit. Außerdem erschwerte die Rechtslage die Einwanderung von Juden. Das änderte sich mit dem Beitritt Sachsens zum Norddeutschen Bund 1866, wodurch – als Voraussetzung für diesen Schritt – die letzten Ausnahmegesetze gegen Juden fielen. Eine Verfassungsnovelle aus diesem Jahr legte fest, dass der Genuss bürgerlicher Rechte fortan unabhängig vom religiösen Bekenntnis sei.

Von Annaberg bis Zittau: Acht jüdische Gemeinden 1905

Ein „Gesetz, die israelitischen Religionsgemeinden betreffend“ vom 10. Juni 1904 regelte rund vier Jahrzehnte später Einzelheiten der Organisation von jüdischen Gemeinden. Sie waren nun juristische Personen des öffentlichen Rechts – allerdings nicht mit den selben Rechten wie christliche Kirchen. Knapp ein Jahr später zog der sächsische Staat die Grenzen der Gemeindebezirke Bautzen, Zittau, Dresden, Leipzig, Chemnitz, Annaberg, Zwickau und Plauen. Sie deckten das gesamte Gebiet des Königreichs ab. Görlitz und Delitzsch indes gehörten bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu Preußen.

Die Gemeinden unterstanden zwar weiterhin der staatlichen Aufsicht durch das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, das etwa konkrete Vorgaben für die Statuten der jüdischen Gemeinden wie auch den Religionsunterricht machte. Gleichwohl gab es bedeutende Fortschritte im Vergleich zu den 1830er-Jahren. So wurde den Religionsgemeinden die zuvor verwehrte Steuerhoheit zuerkannt worden. Der Chemnitzer Rabbiner Rabbiner Dr. Hugo Fuchs begrüßte das, denn die jüdischen Gemeinden würden „in einem gewissen Grade […] nun doch als Faktor des öffentlichen Lebens behandelt“ Das Gesetz schrieb jedem in Sachsen ansässigen Juden die Mitgliedschaft in derjenigen Religionsgemeinde vor, in deren Verwaltungsbezirk er wohnte oder zumindest ein selbstständiges Geschäft betrieb. 

Erster jüdischer Dachverband entsteht 1907

1906 folgte der nächste Schritt zu einer gemeinsamen jüdischen Interessenvertretung in Sachsen. Die Gemeinden in Leipzig und Dresden regten die Gründung eines Sächsischen Gemeindeverbandes an, der mit Wirkung vom 1. Januar 1907 unter dem Namen „Verband der Israelitischen Religionsgemeinden im Königreiche Sachsen“ Realität wurde. Dieser musste nicht nur um die Anerkennung durch den Staat kämpfen, sondern auch die einzelnen Gemeinden von der eigenen Notwendigkeit überzeugen. Es dauerte noch einmal 19 Jahre, bis mit dem Sächsischen Israelitischen Gemeindeverband mit Sitz in Dresden die einheitliche Vertretung der jüdischen Gemeinden und damit der Jüdinnen und Juden in Sachsen ihre Arbeit aufnehmen konnte.

Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts 1926

Anerkannt wurde der Sächsische Israelitische Gemeindeverband am 13. September 1926, dieser Tag gilt als Geburtstag des heutigen Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden K.d.ö.R.. Erster Vorsitzender war der Rechtsanwalt Paul Salinger (1887−1933). Der Verband verstand sich nicht als vorgesetzte Behörde, sondern als Vermittler zwischen Gemeinden und Staatsregierung.

Er setzte sich darüber hinaus für die Schaffung, Unterhaltung und Unterstützung gemeinsamer Einrichtungen und Anstalten, wie das Henriettenstift in Dresden, und die Förderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung der jüdischen Gemeindebeamten in Sachsen ein. Daneben gab es den Landesverband für jüdische Wohlfahrtspflege (gegr. 1925), die Landeskasse für jüdische Wanderfürsorge und die Sächsische Israelitische Lehrervereinigung (gegr. 1926) als übergeordnete jüdische Organisationen für ganz Sachsen.

Justizrat Carl Lebrecht schrieb kurz nach der Anerkennung des Gemeindeverbandes im Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig: „Die Vereinigung der Gemeinden hat ihren Wert vor allem in der Stärkung und Vertiefung des Gemeinschaftsgefühls und in der Fähigkeit, gemeinsame, über die Kräfte der einzelnen Gemeinden hinausgehende Aufgaben zu lösen und die Gesamtheit gegenüber der Öffentlichkeit, dem Staate und anderen Religionsgesellschaften zu vertreten.“

Auslöschung während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft

Jahrzeittafel Yahrzeittafel in der Dresdner Synagoge Jüdische Gemeinde zu Dresden Erinnerung an Verstorbene

Lebten 1871 lediglich rund 3.300 Juden in Sachsen, stieg die jüdische Bevölkerung bis 1933 auf etwa 20.500 Menschen an, vor allem durch Zuwanderung aus Osteuropa. Der Anteil von Juden machte an der Gesamtbevölkerung 0,4 Prozent aus und lag unter dem gesamtdeutschen Schnitt. Mit der Machübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die systematische Verfolgung, Demütigung, Entrechtung und schließlich Ermordung von Jüdinnen und Juden in Sachsen. Die Entrechtung richtete sich auch gegen jüdische Organisationen. So verloren die Gemeinden ihren Status als juristische Personen des öffentlichen Rechts und wurden zu Privatvereinen degradiert, später zwangsweise in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert.

Die physische Auslöschung der jüdischen Gemeinschaft begann 1941 während des Zweiten Weltkriegs. Sächsische Jüdinnen und Juden wurden in Ghettos und Konzentrationslager unter anderem in Belzyce, Theresienstadt, Riga, Treblinka und Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die wenigsten überlebten die NS-zeit. Zum Kriegsende 1945 hatte Dresden nur noch 41 jüdische Einwohner, Leipzig weniger als 20. Trotzdem gründeten sich jüdische Gemeinden wieder, in Dresden, Leipzig, Chemnitz und zunächst in Plauen.

Acht Gemeinden in der DDR unter gemeinsamem Dach

Die in der Sowjetischen Besatzungszone wieder entstandenen Gemeinden bemühten sich zunächst um eine gesamtdeutschen Dachorganisation zu ihrer Vertretung. Dazu kam es jedoch wegen der Spaltung des Landes nicht mehr. Im neuen sozialistischen und seinem Anspruch nach antifaschistischen Staat im Osten wurde am 9. Juli 1952 der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR als Körperschaft des öffentlichen Rechts zugelassen. Er vereinte die acht Gemeinden in Ost-Berlin, Dresden, Leipzig, Erfurt, Halle/Saale, Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz), Magdeburg und Schwerin. Durch antisemitische Verfolgung in der Phase des Spätstalinismus sank aber die Zahl der Mitglieder deutlich. 1955 hatten alle jüdischen Gemeinden in der DDR nur noch 1.715 Angehörige. Der Verband bestand bis zum 12. September 1990, als die Mitgliedsgemeinden über neu gegründete Landesverbände dem Zentralrat der Juden in Deutschland beitraten.

Neuer Staatsvertrag mit Sachsen 1994

Menora in der Dresdner Synagoge siebenarmiger Leuchter

Der neugegründete Landesverband Sachsen-Thüringen der Jüdischen Gemeinden K.d.ö.R. schloss mit dem Freistaat Sachsen 1994 einen Staatsvertrag ab, der regelmäßig aktualisiert wird. Nach Ausscheiden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen entstand der sächsische Landesverband in seiner heutigen Verfassung 1996. Im Staatsvertrag werden neben Fragen wie Glaubensfreiheit, Anerkennung von religiösen Feiertagen und dem Religionsunterricht auch der finanzielle Beitrag des Freistaates zum Betrieb und Fortbestand der Jüdischen Gemeinden geregelt. Mitglieder des Landesverbandes sind die Jüdische Gemeinde zu Dresden, die Jüdische Gemeinde Chemnitz und die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig. Außerdem ist das Zentrum Chabad Lubawitsch Sachsen mit Sitz in Dresden Kooperationspartner des Landesverbandes. Laut Statut ist der Landesverband die einheitliche Vertretung der jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet des Freistaates gegenüber politischen, wirtschaftlichen und religiösen Institutionen des öffentlichen Lebens. Er fördert die Pflege religiöser, kultureller und sozialer Aufgaben der Jüdischen Gemeinden und ist außerdem Mitglied in der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen.

Für die religiösen Belange der Mitglieder ist Sachsens Landesrabbiner Zsolt Balla zuständig, der zugleich Leipziger Gemeinderabbiner ist. 

Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden waren bisher:

Siegmund Rotstein (1990–1999), der auch langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Chemnitz war.

Heinz-Joachim Aris (2002–2017), der zudem Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland war und als Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Dresden wirkte. 

Dr. Nora Goldenbogen (2017-2024), die zuvor als Vorsitzende die Jüdische Gemeinde zu Dresden leitete.

Nach dem plötzlichen Tod von Dr. Nora Goldenbogen sel. A. am 26. November 2024 wurde Ekaterina Kulakova am 17. Januar 2025 zur neuen Vorsitzenden der Organisation gewählt.

Für diesen Text wurden unter anderem Recherchen von Daniel Ristau, Jürgen Nitsche, Hubert Lang und der Landeszentrale für politische Bildung verwendet.